Inventarisierung der
Macht
Die Berliner Mauer
aus anderer Sicht
Ausstellung und Buch
Annett Gröschner/Arwed Messmer
Weite Landschaften, in denen sich Stacheldrahtverhaue oder wacklige Wachtürme seltsam fehlplaziert ausnehmen, ergänzen die Bilder von vermauerten Fensteröffnungen und hastig errichteten Blockaden aus Zementplatten. Mit „Inventarisierung der Macht. Die Berliner Mauer aus anderer Sicht“ beenden Annett Gröschner und Arwed Messmer ihr Langzeitprojekt – Eine lückenlose Ansicht des gesamten Verlaufs der Berliner Mauer von 1966 mit dem Blick von Ost nach West.
Der Titel „Inventarisierung der Macht“ verweist auf das Methodische der Vorgehensweise. Die Hinterlassenschaft einer niedergegangenen Macht, im Archiv konserviert, wird noch einmal ausgebreitet und unter künstlerischen Gesichtspunkten neu geordnet. Ausgangsmaterial sind Fotografien, die von den DDR-Grenztruppen um 1966 angefertigt wurden. Aus diesen Einzelbildern hat der Fotograf Arwed Messmer Panoramen geschaffen. Die Schriftstellerin Annett Gröschner verdichtet die Protokolle der Grenztruppen literarisch zu Bildunterschriften, die zeit- und ortsgleich die Begegnungen zwischen Menschen auf beiden Seiten der Mauer verhandeln.
1995 hatten Annett Gröschner und Arwed Messmer im Militärischen Zwischenarchiv in Potsdam auf der Suche nach Bildern eines Abschnitts der Berliner Mauer einen unscheinbaren Pappkarton geöffnet. Sie fanden viele zusammengerollte Kleinbildfilme – und ahnten nicht, dass dieses Material sie viele Jahre beschäftigen würde. Die Berliner Mauer „Aus anderer Sicht“ hatten Gröschner und Messmer bereits 2011 in einer Ausstellung und einem preisgekrönten Vorgängerband präsentiert. 2012 schließlich entdeckten sie ein weiteres umfangreiches und bisher unveröffentlichtes Bildkonvolut.
In 1.059 Panoramen und Einzelbildern zeigen sie den gesamten Verlauf der Mauer um West-Berlin. „Inventarisierung der Macht“ verweist auf die Herkunft des Materials: Die Ausstellung hat Werkstattcharakter, die Bilder sind auf dünnem Papier gedruckt und an die Wand gepinnt. Eine Lesesaalsituation, wie sie im Archiv gegeben ist, steht als Mittelpunkt der Arbeit im Raum. Die strenge Geheimhaltung, der diese Wort- und Bilddokumente einst unterlagen, ist nun erloschen. Das Archiv wird zur Schatzkiste, aus dem sich die Künstler Material aneignen, um es zeitgenössisch und als Gegenentwurf zu einer offiziellen Geschichtsschreibung zu erzählen.
Ergänzt werden die Panoramen durch weiteres bearbeitetes Material aus dem Bundesarchiv. So vollendet sich ein Projekt “dokumentarischer Empathie” (Florian Ebner), von dem der Fotokritiker Gerry Badger sagte, ihm gelänge es, „die Interpretation historischer Fakten in einem kreativen Akt in ein künstlerisches Werk zu verwandeln“.
Künstlerische Leitung: Annett Gröschner und Arwed Messmer
Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, in Kooperation mit dem Bundesarchiv.